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Clas von Enen gos mich ... 1476

von Nikolaus Hein.

 

     War einst ein Glockengießer ?.

     Vor 500 Jahren ? ?

 

     Es ist um 1430. Wie sieht es in der damaligen Welt aus?

     Die Welt ? das ist Europa, die Mittelmeerküste, Süd-und Ostasien bis zu den Gewürzinseln. Afrika liegt in undurchdringlichem Dunkel, kaum erst bis zu den Azoren tasten sich die portugiesischen Seefahrer vor, im Westen dehnen sich unbefahren die unermeßlichen Weiten des Atlantik, von Amerika hat man keine Ahnung, Christoph Columbus ist noch nicht einmal geboren.

 

     In dieser Welt herrscht der Krieg. Waffengetöse überall, und schon krachen die neuen ?Donnerbüchsen?. In Frankreich wütet noch immer der hundertjährige Krieg mit den Engländern ? eben wurde in Rouen Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen verbrannt ?, in Böhmen der Hussitenkrieg, in Spanien der Befreiungskampf gegen die Mauren, in Italien der Bruderkrieg der Städte, die Türken rüsten zum entscheidenden Vorstoß gegen Konstantinopel, über Rußland lastet die blutige Tyrannei der Mongolen.

 

     Gärende Unruhe in den Geistern, Wirrnis und Zerwürfnis auch im kirchlichen Leben, das Baseler Konzil sucht mühsam eine Kirchenspaltung zu verhindern, überall grollt es von unterirdischen Kräften, die Renaissance ist im Aufbruch, Abend senkt sich über die Welt des Mittelalters. Und noch ist der Buchdruck nicht erfunden, in Straßburg arbeitet eben erst Gutenberg an seiner Erfindung, den beweglichen Lettern.

 

     Im Moseldörfchen Ehnen geht die Zeit ihren steten Gang. Kaum kommt es eben wieder zu Atem nach dem letzten furchtbaren Schlag, und noch sind die Wunden nicht verharscht, die die Raubgesellen des mit den Domherren verfeindeten Rodenmacherers ihm bei dem Überfall vor acht Jahren geschlagen. Aber an den steilgestaffelten Hängen grünen die Reben Jahr um Jahr, tragen Trauben oder keine, die zwei Bäche rauschen wie einst und je an dem Gewirr der strohgedeckten, kleinen Häuser vorbei, die Mosel steigt und fällt und zieht ihre schimmernden Schleifen um Kelterberg und Wo'sselt, die Rebleute gehen und stehen mit Hacke und Hotte an den steilen Bänken, schneiden überm Berg ihre schmalen Roggen- und Haferstücke, zinsen und fronen, tragen ihre Mühsal uhd haben ihre bescheidenen Freuden, leiden Hunger in Fehljahren und auch sonst, und in den Gäßchen und am Moselstaden spielen die Kinder. Und ein kleiner Junge ist dabei, der so gern träumend den Schiffen und Flößen nachschaut, bis sie um die Moselkehre verschwinden ...

 

Welch ein buntbewegtes Leben und Treiben ist das! Ach, einmal mitfahren können wie sein Spielgenosse Johann Hein, den sein Vater schon mehrmals mitgenommen hat auf eine große Fahrt, und der selber auch einst Moselschiffer werden will! ... Manchmal zieht auch fremdes Kriegsvolk durch, denn auch hier ringsherum rumort es von Waffenlärm, im Trierer Erzstift rauft sich die Sippe der Manderscheid mit ihren Rivalen um den erzbischöflichen Stuhl, und an Mosel, Maas und Saone ist der schlaue Burgunder Philipp dabei, sich das alte lotharingische Reich neu zu zimmern, Luxemburg fällt ihm anheim, von der Eidgenossenschaft bis zu den Niederlanden sind die Grenzen in Bewegung, der Kämpfe und Intrigen ist kein Ende.

 

     Es kommen auch friedlichere Durchzügler, Landfahrer, Tabularkrämer, Halfen und Schiffer, und sie bringen einen verwirrenden Hauch mit von dem Weltgeschehen da draußen, und die Trierer Domherren schicken ihre Kellermeister und Schultheißen, den Zehnten an Wein und Weizen aus ihrem Hof Lenningen hier zu verfrachten, und manchmal kommt auch wohl Dompropst Philipp von Sierck selber, um nach dem Rechten zu sehen.

 

     Der Knabe erlebt das alles mit wachen Sinnen, und wenn er mit dem Vater über das Getrümmer des Burghügels bis zur obersten Koppe geht, wo sie eine magere Steinwiese haben, oder längs des Biddeltwaldes, der bis an den Rand der Rebhänge seine mächtigen Kronen schwenkt, dann schweift immer sehnsüchtiger sein Blick über die sonnigen Moselhöhen in die Weite. Er wartet auf etwas. Irgend etwas. Irgendwo in der Ferne muß es sein, neu und jedenfalls anders als hier. Er müßte nicht ein Kind der Talenge sein, um sich nicht hinauszusehnen. Wie eng das Tal, wie weit die Welt! Für einen Moseljungen ist die Welt zunächst dort, wo der Fluß herkommt und wohin er zieht. Dem Fluß nachgehen, dieser lebendigen und natürlichen, Völker verbindenden und Kultur vermittelnden Pulsader abendländischer Geschichte. Davon weiß der Junge nichts, aber er weiß, dort in den großen Bischofsstädten moselauf und moselab, nur einige Stunden weit, in Metz, in Trier, wo die hohen Dome ragen und all der bunte Zierat des Lebens herkommt, dort kann man es zu etwas bringen, kann man mit Liebe, Lust und Fleiß alles werden, Handwerker oder Künstler, Kleriker oder Schreiber. Und er möchte etwas werden, etwas leisten, etwas schaffen. Was, das weiß er noch nicht. Aber vielleicht sogar etwas, an dem auch andere ihre Freude haben.

 

     Der Frühmesser, bei dem sie das Lesen, Schreiben und Rechnen lernen und der den geweckten Knaben liebt und schätzt, hat im Gespräch mit dem Dompropst bei Gelegenheit ein Wort über ihn fallen lassen, nur so nebenbei ...

 

     Und eines Tages ist es so weit. Ein paar Jahre später. Auf einem zutal fahrenden Schiff, das den Zinswein nach Trier bringt, sitzt am Vordersteven der junge Clas und schaut mit brennenden Augen der Stadt entgegen, die in der weiten Bucht zwischen schroffem Waldgehügel und sanften Rebsteigen türmereich vor ihm in den Himmel wächst.

 

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Glockenguß im lieblichen Riol 1454.

 

     In einer weißen Wolke von Obstblüten schwebt das Dorf, wie ein Bergfried schaut das Martinuskirchlein über das weitgebuchtete Tal. Clas von Enen, der junge Meister, ist mit seinen zwei Gesellen eben vom Schiff gestiegen, das sie von Trier mitgebracht. Fuhrwerke rollen vom Dorf heran zur Schiffslände. Man hat ihn erwartet. Pfarrer und Zentner sind auch schon bald da, ihn zu begrüßen. Die schweren Kasten werden aufgeladen. Sie sind gefüllt mit Handwerksgeräten: Zirkel, Winkelmaß, Holzschablonen, Lettern, Feilen und Meißel. Andere bergen die kostbare Glockenspeise: rotes russisches Kupfer und englisches Zinn aus Cornwallis, leicht und silberweiß, alles reines, gediegenes Metall. Schwer war es zu beschaffen gewesen, aber für seine erste Glocke, seine Brautglocke, ist das Feinste gerade gut genug. Edel und rein soll sie tönen, soll seine Kunstfertigkeit mit hellem Munde in die Lande singen: Ein guter, tüchtiger, neuer Meister, der Clas von Enen hat mich gossen! Und der Ruf wird von Ort zu Ort dringen, und noch viele, viele Glocken wird er, zu Gottes Ehre, den Menschen schenken können. Denn das ist sein Traum. Und er wird all seine Kenntnis und Geschicklichkeit und alle Erfahrung, die er noch gewinnen kann, in den Dienst seiner Kunst stellen, um zu immer höherer Vollendung zu gelangen.

 

     In der Pfarrstube bei einem Schoppen Wein besprechen sie noch einmal die Vorkehrungen zum Guß. Den Platz haben sie schon in Augenschein genommen. Dicht an der Kirche liegt er, sobald die Dammgrube ausgeworfen und der Schmelzofen gebaut ist, wird man ein Notdach darüber errichten. Sand und Kalk, Ziegelsteine und Lehm liegen bereit, einen Wagen Holzkohlen hat die Gemeinde in ihren Meilern gebrannt, Werg und Flockwolle, Wachs, Wein, Eiweiß und Fett gibt's im Dorfe genug, und jeder spendet gern. Morgen kann die Arbeit beginnen. Also Glückauf, Meister Clas!

 

     Er weiß nicht, ist ein Rausch über ihn gekommen, so von Glück erregt ist er. Ein Singen ist in seinem Blut. Ist es dieser Trittenheimer ?

 

     Er denkt: So volltönig ist dieser Wein, von der Sonne erzeugt, aus der Erde geboren, alle Säfte des Bodens sind darin und alle wehenden Lichter des Himmels, Frühlenzschimmer, Juliglut und die Innigkeit septemberlichen Silberglanzes, so volltönig müßte auch eine Glocke sein, so zur Andacht stimmend vor des Allmächtigen Güte, in Liebe und Glauben ...

 

     Er schließt die Augen, trinkt und sieht wie im Traum das Moselland mit seinen grünen Bergen, Triften und Wäldern, die versteckten Täler darin mit ihren Dörfern und Weilern und Türme, Türme ungezählt, spitze, geduckte, schmale, massige, engbrüstige, wuchtige, und von allen schwingen die Glocken ihren Ruf in der Menschen, freud- und leidvolle Tage.

 

     Sie klingen, er hört sie, es sind viele, viele, ein ganzes, vielstimmiges Glockenspiel, ein himmlisches Orchester.

 

     Die Dammgrube, tief und geräumig, harrt der bildenden Hand des Meisters, der nun in ihr die Form modelliert. über den aus Ziegelsteinen gemauerten, runden Kern legt er eine Schicht aus reinstem Lehm, das ?Hemd? oder die Dickung, die genau die Form und Dicke der Glocke hat. Sie trägt, aus Wachs gebildet, auch alle Verzierungen und die Inschrift. Darüber kommt eine neue Lehmschicht, der Mantel. Es ist tagelange Feinarbeit, die Clas selbst besorgt, das Handwerkliche des Berufs, wozu Sorgfalt und kluge Voraussicht gehören, so hat er es bei Meister Peter von Beyschen in Trier in all den Jahren gelernt. Das andere, die eigentliche Kunst, das richtige Treffen des gewünschten Klanges, ist trotz aller notwendigen Berechnung des Mischungsverhältnisses von Kupfer und Zinn, des Profils, der Wandungsdicke, der Öffnung doch im ganzen Sache ahnenden Gefühls, unerlernbar, von Gott gegeben.

 

     Tage dauert es, bis alles fest getrocknet ist, dann wird der Mantel sorgfältig zerschnitten und abgenommen, die Dickung zerschlagen und über den so entstehenden Leerraum, den das flüssige Metall ausfüllen wird, der Mantel wieder angelegt. Nachdem auch die in ähnlicher Weise modellierte Form der Krone, an der die Glocke aufgehängt wird, aufgesetzt ist, wird der Mantel durch weitere Schichten verstärkt und dann die Gießgrube ringsherum aufgefüllt und festgestampft.

 

     Wieder sind Tage vergangen. Auch der Schmelzofen, aus Stein gemauert, mörtelfest und mit Lehm eingekleidet, steht nun nahe der Gießgrube bereit, das Metall aufzunehmen. Und dann kommt der Tag, der für das Dorf ein Festtag ist. Schon viele Stunden brennt das Feuer mit wachsender Glut, das Metall fängt an zu sieden und zu brodeln. Clas und seine Gesellen hantieren eifrig herum, sehen nach, prüfen, nicken sich zu, stehen wartend da und wie gelassen. Aber Clas zittert doch leise vor innerer Erregung. Der geringste Fehler, ein böser Zufall können alles verderben. Ein mißratener Guß aber ? ? sein Ruf steht auf dem Spiel. Noch einmal prüft er das siedende Metall. Dann tritt er vor, hebt die Hand: ?Und dieweil wir nun alles achtsam und kunstgerecht besorget haben, und es stehet nur mehr in Gottes Hand, bitt ich euch, mit mir einen frommen Spruch zu beten, damit mit seinem Segen der Guß uns wohl gelinge.?

 

Mit ernsten Mienen sprechen sie das Gebet.

 

?Fertig zum Guß! Und nun ? In Gottes Namen!?

 

     Zischend schießt der glühende Schwall durch die Rinne hinab ins Gießloch, sausend entweicht die Luft durch die Windpfeifen, Rauch wallt empor. Jetzt bleibt nichts mehr zu tun als zu warten, bis das Metall sich gekühlt hat und erstarrt.

 

Als sie nach zwei Tagen den Mantel entfernen, steht es da, das neue Gebilde, blank und glänzend. Liebkosend streicht des jungen Meisters Hand über die runde Wölbung. Nun bedarf die neue Glocke nur noch einer sorgfältigen Politur mit Meißel und Feile, bis sie, mit dem Klöppel versehen, die Weihe empfangen und hinaufschweben darf in ihr luftiges Reich.

 

     Nein, ein Roman soll dies nicht werden, wie sehr es auch reizen mag, dieses Leben in Bildern zu beschwören. Aber warum es mit plumpen Fingern aus seinem geheimnisvollen Dunkel hervorzerren und mit dem lügnerischen Kleid erdichteter Schicksale umhüllen?

 

     So bleibe es Geheimnis. Und wie uns aus dem Figurengedränge eines alten Schnitzaltars oder eines Domportals manchmal ein rätselhaft lebendiges Antlitz mit wissendem, tiefem Blick entgegenstarrt und uns die jähe Gewißheit durchschauert: das und kein anderer ist der anonyme Meister, der sich hier in seinem Werk verbirgt und sich nur dem liebevoll Schauenden offenbart, so möge auch Clas von Enen uns mit seinem bloßen Namen ebenso ?anrufen?. Mit seinem Namen und seinem Werk. Denn seine Glocken klingen noch immer, jung und tonrein wie an ihrem ersten Tag vor fünf Jahrhunderten.

 

      Sein Name lautet in den Inschriften: Clas, Claes, Clais, Claus oder Nicolaus. Dazu immer: von (oder van) Enen. Als Glockenname tritt am häufigsten ?Maria? auf. Die Kraft der geweihten Glocke, böse Wetter zu verscheuchen, wird auf vielen seiner Glocken betont: all bos weder vertriben ich (Osann), alle beais weder verdraiven ich (Riol) usw.

 

Fast 50 Jahre lang führt Clas das Leben eines wandernden Glockengießers. In Trier, das im Zentrum seines Wirkungsbereichs lag und alle Möglichkeiten neuer Betätigung und neuer Verbindungen bot, mag er eine dauernde Gießstätte eröffnet haben, möglich bleibt es immerhin, daß er in seinem Heimatdorf selbst, wenigstens zeitweilig, Wohnsitz und Werkstatt aufschlug (zum Trierer Glockenguß dürfte wohl das Haus «Zur Glocke» in Beziehung stehen mit seiner gotischen Inschrift im Türsturz (1490); es hat der ganzen Straße den Namen ?Glockenstraße? gegeben. (Keune))

 

      Sein Schaffensgebiet reicht an der Mosel entlang von Rüsdorf-Sierck bis in die Nähe von Koblenz und weit in den Hunsrück und in die Eifel hinein. Manche seiner Glocken sind gewiß den Kriegen, den ?Glöckenmördern?, zum Opfer gefallen, andere bei Turmbränden oder infolge unsachgemäßer Behandlung zersprungen. Wir kennen die meisten davon nicht mehr.

 

     Daß man Clas mit dem gleichzeitig tätigen Clas oder Clais von Echternach für identisch halten konnte, liegt an der irrigen Annahme, Ehnen sei ein luxemburgisches Dorf ?in der Nähe von Echternach?. Unglaubwürdig aber erscheint es von vornherein, daß ein und derselbe Meister sich im selben Jahr einmal Clas von Enen und ein andermal Clas von Echternach genannt haben sollte.

 

Folgen wir nun Meister Clas auf seinem Schaffensweg

 

Die wichtigsten Quellen sind die verschiedenen Bände der ?Kunstdenkmäler der Rheinprovinz? (hrsg. von P. Clemen), dann Andreas Schullers ?Glocken vom Hochwalde.? (in: Trierische Chronik, IX, Heft 9/10, 1913), P. Osters ?Glocken der Heimat? (in: Kalender für das Trierer Land, 1926) und schließlich Prof J.-B. Keunes ?Was uns Glocken sagen? (im Paulinus-Kalender, 1931).

 

Riol 1454 (nach Keune, S. 66) und 1472.

 

Briedern 1462.

 

Peterswald 1463.

 

Cobern 1465 (abgeliefert im 1. Weltkrieg).

 

Wollmerath 1465 und 1477.

 

Aldegund 1472.

 

St. Gangolf in Trier 1475.

 

Walferdingen 1476 (seit April 1952 in Ehnen).

 

Mülheim 1476 und 1488.

 

St. Matthias in Trier 1477.

 

Monzel 1478 (abgeliefert 1917).

 

Strotzbüsch 1479.

 

Osann bei Bernkastel 1480. (heute im Rheinischen Landesmuseum, Trier.)

 

Wehr (gegenüber Ehnen) 1480.

 

Anderath 1481.

 

Baasem (Reg.-Bez. Aachen) 1483.

 

Hahn 1489.

 

Alflen 1490.

 

Nickenich 1490.

 

Laubenheim (Kreis Kreuznach) 1491.

 

Stipshausen 1493.

 

Uedelhoven 1494.

 

Driesch 1496.

 

Panzweiler 1498.

 

Zerf (Datum unvollständig).

 

Rüsdorf 1501

 

(zu Rüsdorf: R. S. Bour, Etudes campanaires mosellanes, t. I. Editions Alsatia, Colmar, 1947. Bour stützt seine Annahme, daß diese Glocke, die keinen Gießernamen trägt, von Clas von Enen stamme, u. a. darauf, daß die Inschrift genau dieselbe ist wie die der Trierer Gangolfsglocke und sonst in Lothringen nicht vorkomme; außerdem liege Rüsdorf dicht an dem Gebiet, in dem Clas tätig war. Wir können die Vermutung Bours durch den weiteren Hinweis bekräftigen, daß zwischen Rüsdorf und Ehnen engere Beziehungen bestanden, da das Rüsdorfer Nonnenkloster in Ehnen Landgüter und ein Haus besaß.)

 

     Dies sind die heute noch feststellbaren Glocken. Nach dem oben Gesagten können wir Clas von Ehnen wohl eine weitaus größere Anzahl zuschreiben.

 

     Wahrscheinlich war auch die kleine, alte Glocke von Lenningen aus dem Jahr 1466, die vor etwa einem Jahr eingeschmolzen wurde, ein Werk des Ehnener Meisters. Der Teil der Inschrift, der den Namen enthielt, war unleserlich geworden. In Ehnen war noch stets eine alte Tradition lebendig, gemäß der die Ehnener diese ?Silberglocke?, wie man sie ihres hellen Klanges wegen nannte, gestiftet hatten. Ob in Ehnen selbst früher eine Glocke von Clas vorhanden war, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die Glocke der Antoniuskapelle fiel in der französischen Revolution der Beschlagnahme zum Opfer. Auf die Reklamationen der Dorfgemeinschaft hin wurde eine ? andere ? Glocke im Gewicht von 200 Pfund zurückerstattet. Heute klingt über Dorf und Tal von Ehnen wieder ein Werk seines berühmtesten Sohnes, die alte Walferdinger Glocke von 1476.

 

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?Doch aller Glocken Krone,

  Die er gegossen hat,

  Das ist die Gangolfsglocke

  In Trier, der heil'gen Stadt.?

 

     Im Jahre 1475, zwei Jahre nach der denkwürdigen und prunkvollen Begegnung Herzog Karls des Kühnen von Burgund und des deutschen Kaisers Friedrich III. in Trier, bei der die Heirat zwischen Maximilian von Österreich und Maria von Burgund vereinbart wurde, erhielt Clas von Enen den ehrenvollen Auftrag, eine neue große Glocke für die St. Gangolfskirche zu gießen. Sie hängt noch heute im St. Gangolfsturm, der mit seiner gedrungenen, machtvollen Baumasse den Trierer Hauptmarkt beherrscht. Sie wiegt über 52 Zentner (die Angaben entnehme ich Keune, S. 66 ff.). Gangulfus heißt sie und trägt das Bild des Schutzheiligen der Kirche. Um den Hals, den oberen Rand, läuft folgende lateinische Inschrift (in gotischer Kleinschrift, wie auf allen Glocken des Meisters):

 

?me fecit magister nicolaus de enen.

laudo deu(m) verum, sathanum fugo, convoco cleru(m).

gra(tia) divi(n)a depellat cu(n)cta nociva gangulfus.

anno d(omi)ni 1475.?

 

(Mich hat gemacht Meister Nikolaus von Enen. Ich lobe den wahren Gott, den Satanas verjage? ich, ich rufe den Klerus zusammen. Durch göttliche Gnade möge vertreiben alles Schädliche Gangolf. Im Jahre des Herrn 1475.)

 

     Die Glocke ist also älter als der jetzige Turm, der dank einer Stiftung der Wohltäterin der Stadt, Adelheid von Besselich, in der Zeit von 1483-1507 an der Stelle eines älteren Turmes erbaut wurde.

 

     Zum ursprünglich religiösen Zweck der Glocke, auf den Bild und Inschrift hinweisen, gesellte sich bald eine bürgerliche Aufgabe: sie sollte die Polizeistunde ankündigen, die ehemals, wie anderswo, so auch in Trier um 9 Uhr abends angesetzt war. Sie läutete auch den Marktbeginn und Marktschluß ein und war Brand- und Sturmglocke. Noch heute bietet sie abends den Trierern den letzten Gruß, oder wie es in anderer Lesart heißt, sie mahnt die weinfrohen Trierer zur Heimkehr. «Lumpenglocke» heißt sie deshalb durchgängig im Trierer Volksmund.

 

      Im Jahre 1477 ließ Abt Johann Donnre von St. Matthias die große Glocke im Westturm der Abteikirche gießen. Wiederum war es Clas von Enen, der mit diesem Auftrag beehrt wurde, ein Beweis, welchen Ansehens er sich erfreute. Auch diese Glocke trug eine längere lateinische Inschrift. Der lateinische Text dds Schriftbandes, das den oberen Rand zierte, besagte, daß diese Glocke im Jahre 1477 mit Christi gnädigem Beistand von ?Meister Nikolaus Enen? gegossen wurde.

 

      Sie ist wahrscheinlich schon 1552, als die räuberischen Horden des Markgrafen Albrecht von Brandenburg brandschatzend durchs Moselland zogen, verlorengegangen.

 

      Der Name ? Nikolaus Enen ? weist auf die damals sich vollziehende Wandlung der Herkunftsnamen in Familiennamen hin (durch Weglassung des ?von?). Im vorliegenden Falle läßt sich vielleicht eine Vermutung daran anknüpfen. Es gibt nämlich einen gelehrten Theologen und Universitätsprofessor Johann Enen, der im Jahr 1519 als Weihbischof in Trier gestorben ist und der die erste Geschichte Triers in deutscher Sprache geschrieben hat. Seine. Herkunft liegt im Dunkel. Aber könnte man, da der Name Enen doch sicher nicht häufig war, nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine verwandtschaftliche Beziehung (Sohn? Bruder?) zwischen Johann Enen und Clas (von) Enen annehmen? Über ersteren schreibt J. Marx in seiner ?Geschichte des Erzstifts Trier? I. Abt. Bd. 2, S. 494:

 

?Der Trierische Weihbischof Johann Enen (+ 1519). Von den früheren Lebensverhältnissen dieses Gelehrten ist uns nichts bekannt; indessen scheint er von geringer Herkunft gewesen und durch die Abtei St. Maximin in den Studien gefördert worden zu sein, die er mit so glücklichem Erfolg betrieben hat, daß er zum Doktor der Theologie, Magister der freien Künste promoviert wurde, eine Professur an der Universität erhielt und von dem Erzbischofe Richard von Greiffenklau zum Domprediger und 1517 zum Weihbischof gewählt wurde. Zwei Jahre vor seiner Ernennung zum Weihbischofe hat Enen in deutscher Sprache ein Werk erscheinen lassen unter dem Titel: ?Medulla Gestorum Trevirenshun, d. i. Klärlicher Bericht von dem hochwürdigen Heiligthum aller Stifter, Klöster in und bei der Stadt Trier, mit vielen anderen hinzugesetzten (des Alten und des Neuen Testaments) Geschichten derselben Stadt.?

 

      Das Werk wurde zu Metz bei Caspar Hochfelder, auf Kosten des Matthias Häne, Buchhändler zu Trier, im Jahre 1514 gedruckt, ist dann aber auch 1517 auf den Wunsch des Verfassers von Joh. Scheckmarin, Conventual in St. Maximin, ins Lateinische übersetzt worden , und zu Metz im Druck erschienen, unter dem Titel: ?Epitome, alias medulla gestorum .Trevirensium etc.?

 

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Rüsdorf 1501.

 

      Zur Vesperzeit besteigen sie an der Schiffslände unterhalb Rüsdorf das Boot, um nach Ehnen heimzufahren. Die Ziehruder klatschen ins Wasser, bald ist die Strömung erreicht. Clas schwenkt den Hut zum Abschied gegen das Ufer, wo noch ein paar Leute winken. Über seinem schneeweißen Scheitel flirrt das niederströmende Licht des Sommernachmittags. Das mit Kasten und Geräten beladene Fahrzeug schwankt, er hat sich niedergesetzt, dreht den Kopf zurück, noch einmal nehmen seine Augen das Bild des stillen Talwinkels in sich auf, ruhen einen Augenblick auf dem nahen Sierck, dessen Dächerbläue sich lächelnd im Flusse spiegelt, und bleiben dann auf dem Kirchturm droben auf der luftigen Anhöhe haften. Dort, in Rüsdorf, hängt jetzt die neue Glocke. Gestern hat sie zum erstenmal geläutet. Er hat auch jetzt, obwohl sie schweigt, ihren klaren, edlen Klang im Ohr. Nie war ihm dat Herz so schwer von Abschiedsweh, von dieser Bitternis, sich für immer trennen zu müssen von etwas, tlas man aus der Fülle des Herzens erzeugt und gestaltet hat und an dem man hängt wie an einem Kind, das man scheidend in der kalten, rohen Welt zurückläßt ...

 

      Seine letzte Glocke ist es, das weiß er. Er ist müde. Wie hat er all seine Kräfte anspannen müssen, um noch einmal das gewohnte Tagewerk in Angriff zu nehmen! Aber sie hatten ihm mit Bitten so zugesetzt, und die Mutter Oberin der Rüsdorfer Nonnen hatte ihm durch ihren Hofmann ein eigenes Handschreiben in seine stille Klause überbringen lassen, in dem sie ihn beschwor, seine bewährte Kunst noch einmal in den Dienst Gottes und insonderheit auch des Dorfes und Klosters Rüsdorf zu stellen und ihnen und allen künftigen Geschlechtern ein Werk seiner Hände zu schenken. Gut, er hatte endlich zugesagt. Und als er dann in der Dammgrube stand und seine Hände sorgsam und beflissen an der entstehenden Form herumwerkelten, war dieses Nochschaffenkönnen doch wieder Beglückung. Ja, diese Wochen in Rüsdorf waren wie eine Erlösung gewesen aus der Einsamkeit, in die sein Leben abgesunken war.

 

Und nun fährt er in seine Einsamkeit zurück.

 

     Sacht gleitet das Boot an den schilfumbuschten Ufern vorbei. Brausende Sommerfülle überschäumt das Tal, Sonne strömt überall, an den Rebhängen kocht der junge Wein, und die Dörfer, eng geschmiegt an ihre grünen Hügel, spiegeln sich im Fluß, zitternd in Sommerwonne. Ihn, den müden Landfahrer, trägt die Flut einem andern Gestade zu. Nach Ehnen ? nach Innen! flüstert er und lächelt. Einst, da war es anders, da trieb ihn die Unrast seines sehnsüchtigen Herzens hinaus ins Weltgetriebe, zu den andern, den Menschen. Jetzt ist das Alleinsein ihm Trost und Zuflucht. Innen ist das Himmelreich.

 

     Im Grunde ist er ja in den Jahren seines tätigen Lebens noch viel einsamer gewesen, grenzenlos allein. Wer wußte etwas von dem Tiefsten in seiner Seele ? Wer weiß überhaupt etwas vom andern? Schaurig ist es jetzt, dies einzusehen. Wie hat er nur den Weg durch jenen Schlangensumpf voll Neid, Niedertracht und züngelnder Bosheit zu Ende gehen können? Jetzt lebt er nur mehr ganz am Rande jener Welt. Was um ihn ist, was je um ihn war, Schatten, nichts als Schatten. Daß man so alt werden muß,  um einzusehen, wie unwichtig alles ist, wonach man einst gegriffen in Lust und überschwang, Erfolg, Besitz, Ehre, Ansehen! Und auf wie wenig es im Grunde ankommt

 

     Gut, es ist gut so. Man atmet noch und weiß: Du atmest, du lebst ... All die guten Dinge sind um dich: Luft und Sonne und Wasser und Blume und Baum und Fels. Und droben die Sterne.

 

     Und die Menschen? Wo sind sie, die dir hätten Freund sein können, um deren Freundschaft du geworben ein halbes Leben lang? Zerstoben wie Spreu im Wind. Auch sie nur Schatten mehr.

 

     Da könnte nur noch die Arbeit über die Leere hinwegtrösten. Aber die Kräfte versagen. Man ist zu nichts mehr nutze.

 

     Und eine Stimme fragt: Was war dein Leben? Was bleibt von dir zurück? Ach, daß zwischen Wollen und Vollbringen die Rechnung nie aufgeht! Was übrig bleibt, ist Schuld und Schwäche und Irrtum ...

 

     Es träumt sich gut im Boot. Dörfchen an Dörfchen gleitet vorbei. Bild an Bild taucht auf. Mosel, du lieblichster der Flüsse, Heimatfluß ...! Sein Sinnen folgt den Wellen weit in die Ferne, in die sie hinunterziehen. Und aus den Buchten und Winkeln des Tals und von den Höhen kommen sie ihm schimmernd entgegen, all die Dörfer, wohin ihn seine Lebensfahrt getragen. Und dann sind auch die Glocken da, auf wiegenden Wellen dringt ihr Läuten an sein Ohr, Moselglocken, hell und dumpf, ernst und heiter, seine Glocken. Er kennt sie alle noch, ihre Namen schwingen mit im Schall: Maria heißen ich, Peterus heißen ich, Gangulfus heißen ich, Osanna heißen ich ... Er hört sie rufen über kleine Winzergäßchen und wogendes Marktgewühl, über die Schieferberge und in die Höhenwälder. Sie klingen in die Kammern hinein und in die Herzen ...

 

     Und siehe da: wie das Boot um die Differter Kehre in das Jonswehr einbiegt, über dem schon Abendnebel kräuseln, da ist es nun doch eine wirkliche Glocke, die da zu läuten anhebt. Angelusläuten in Wehr.

 

     Er neigt das Haupt. Ach, seine liebe, kleine ?Maria? mit dem hellen, weichen Klang, da ist sie wieder. Er hat sie gern, und wenn er über Biddelt geht und der Lenninger ?Peterus? mit seiner Silberstimme ihr über den Berg herüber Antwort gibt, ist es für ihn ein tröstlich Lauschen.

 

     Nun ist schon das breite Ehnener Woog da, ein fließender Teppich von dunkelgrün leuchtendem Samt. Die Glocke schweigt. Aber ein Nachhall zittert noch in der Luft. Nichts bleibt ? nichts bleibt ? nichts bleibt ? so klingt es. Und dann wieder: Aber wir ? aber wir ? aber wir !

 

     Zeitlosigkeit ist in diesem Abend. Sein Sinnen versinkt darin. Irgendwann ist es, irgendeinmal in der Zukunft, vielleicht nach vielen hundert Jahren.

 

     Reiche entstanden und versanken, Geschlechter kamen und gingen, von den Großtuern und Lärmern, den Rechnern, Raffern und Schlingern blieb keine Spur, aber noch immer läutet die Glocke, nein, nicht diese allein, auch die andern. Viele seiner Glocken. Seinen Namen mag man nicht mehr nennen, aber er selber ist noch da, was er gewesen, ist noch lebendig in den tönenden Gebilden, die er aus Erz geformt, im Geheimnis ihrer Harmonien. Clas, du Glücklicher!

 

     Und so blickt er gelassen und getrost seinem stillen Hause entgegen, bis der Kiel des Bootes auf den Sand des Ehnener Stadens aufknirscht unter dem leise verglühenden Abendhimmel.

 

 

erschienen in ?Ehnen, 1852-1952?, Société Chorale Ste Cécile, 1952

 

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